Joy wird volljährig (für mich)

Vor 18 Jahren - Mein erstes Profi

 O war mein Partner, mein Swinger-Partner, mein Freund. Wir waren viele Jahre zusammen, und wir hatten eine gute Zeit. So ehrlich muss ich sein. O ist kein schlechter Mensch. Kein Arschloch. Er ist stur, seltsam, ein Freak – aber genau solche mag ich. Und ich hatte ihn sehr gern. Es war eine schöne Zeit, diese erste Joy-Zeit.

Damals war Joy schon seltsam. Seltsam gut. Seltsam schräg. Keine klassische Sex-Dating-Seite. Viel zu verkopft, zu forenlastig, zu kunstverliebt, zu diskussionssüchtig. Es war eher eine Plattform, auf der Erotik eine Ausrede war, um sich zu zeigen. Oder zu verstecken. Je nachdem. Joy war eine sexpositive Online-Community, lange bevor dieses Wort wirklich durch die Netzwerke rollte.

Ich erinnere mich an die Bilder. An die Fotografen, an die Art, wie man sich dort stilvoll ausziehen durfte, wenn man es denn konnte. Oder wollte. Joy war damals ein großer Mischmasch aus Posen, Worten, Provokation und Nähe. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Und das sage ich mit Respekt. Dort wurde gekämpft, zwischen schön und schöner, zwischen echt und fake, zwischen männlich, weiblich, trans und was auch immer man war.

O und ich waren Teil davon. Wir waren ein Paar, das offen lebte. Ein Swingerpaar. Nicht täglich, nicht wild. Aber offen. Ehrlich. Und Joy war ein Zuhause für solche Konstellationen. Nicht perfekt, aber besser als alles andere da draußen.

Ich war damals sehr schlank. Unter 55 Kilo. Ich war jung, sichtbar, und ich hatte das Gefühl, in einem Körper zu leben, der akzeptiert wurde. Und trotzdem habe ich mich immer wieder aufgeregt. Schon damals. Weil ich offen war. Weil ich radikal ehrlich war. Vielleicht noch nicht so klar und geschliffen wie heute, aber das Grundmuster war da: Ich habe gesagt, was ich mochte.

Ich habe damals schon gesagt, dass ich auf dicke Männer stehe. Kleine, bauchige Männer. Solche, an die man sich drankuscheln kann, ohne dass es wehtut. Denen man gradewegs in die Augen guggen kann, ohne Genickstarre. Und das war nicht gern gehört. Ich war eine schlanke Frau, die öffentlich äußerte, dass sie Normschönheit bei Männern nicht sexy findet. Und das war auf Joy, diesem angeblich so freien Ort, ein Tabubruch.

Männer, die auf dicke Frauen stehen, wurden als mutig, als liebevoll, als groß gefeiert. Frauen, die auf dicke Männer stehen? Die wurden verspottet. Oder niedergemacht. Oder als notgeil abgestempelt.

Ich habe das öffentlich gemacht. In Foren. In meinem Profiltext. In Gesprächen. Und ich habe Gegenwind bekommen. Immer. Es war, als hätte ich gegen eine stille Vereinbarung verstoßen: Dass Frauen auf durchtrainierte Typen zu stehen haben. Dass es „einen Standard" gibt.

Und ich habe mich gewehrt. Immer. Ich habe mich in Foren angelegt, mit Fremden gestritten. Viel Gegenwind bekommen. Ich habe meine Haltung nicht verkauft, auch wenn ich eher empfindlich bin. Ich wusste, was ich will. Und ich wusste, dass das nichts mit Körpernormen zu tun hat, sondern mit Gefühl.

Joy war nie ein sicherer Ort für mich. Aber es war ein Spiegel.

Damals hatte ich keine psychische Diagnose. Noch nicht. Ich wusste nicht, dass ich bipolar bin. Die Ärzte, die mich behandelten, behandelten mich auf Depression. Ich war auch depressiv, klar. Aber das war nicht alles. Ich war unausgeglichen, schwankend, hoch und runter. Aber O war nicht der Grund. Und die Krankheit war nicht der Grund für unsere Trennung. Wir haben einfach nicht gepasst.

Ich habe mich getrennt. Das war meine Entscheidung. Es fiel mir schwer, aber sie war richtig.

Danach habe ich den Account gelöscht. Ich hatte keinen Nerv mehr für Joy. Ich war krank. Ich war dick geworden durch Medikamente – von 55 auf fast 100 Kilo. Ich hatte Komplexe, große Komplexe. Ich dachte: Jetzt will mich niemand mehr.

Was rückblickend falsch war. Aber es war mein Gefühl. Und das Gefühl zählt in solchen Momenten mehr als jede Statistik.

So endete mein erster Joy-Account. Nicht dramatisch. Nicht knallend. Denn ich lies den Profilnamen einfach O. Er hat das Profil heute noch, deshalb kann ich schauen wie alt es ist.

Aber ich kam wieder, denn so ist Joy. Es zieht einen zurück.


 

2 Rückkehr mit Komplexen - Die Bodybuilder-Phase

 Nach der Trennung, nach dem Bruch, nach dem ersten Abschied von Joy – war da Leere. Ich war krank. Ich war schwer. Ich war voller Fragen.

Die Medikamente hatten mich verändert. Nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper. Ich hatte plötzlich fast doppelt so viel Gewicht wie früher. Von unter 55 auf knapp 100 Kilo. Ich fühlte mich nicht mehr wie ich. Und vor allem: Ich fühlte mich nicht mehr gesehen.

Also kam ich zurück zu Joy.

Ein neuer Account, ein neuer Name – einer, den ich heute nicht mehr nennen werde, weil ich ihn anderswo vielleicht noch benutzt habe. Aber es ist ein Name mit Schutzfunktion. Ein Deckmantel, der nicht ganz zu mir passte, aber mich zumindest ein Stück weit wieder sichtbar machte.

Ich wollte wissen, ob ich noch funktioniere. Ob mein Körper noch funktioniert. Ob mein Begehren noch gesehen wird. Ob ich als dicke Frau noch gewollt bin. Ich glaubte damals: Wenn ich schon dick bin, dann muss das Gegenüber halt möglichst muskulös sein. Also fing ich an, Bodybuilder zu daten.

Das war nicht meine Welt. Ich mag Muskeln, klar. Breite Schultern, starke Hände, das hat was, aber ch stehe auf Bäuche. Schon immer. Ich stehe auf kleine Männer, auf gedrungene Körper, auf runde Bäuche, auf Wärme. Ich liebe es, wenn ein Mann mir beim Stehen direkt in die Augen schauen kann. Das hat was Hypnotisches. Und ich liebe es, wenn ich mich an jemanden schmiegen kann.

Also war diese Bodybuilder-Phase nur eine Zwischenstation.

Ein Irrtum mit Lerneffekt.

Und nebenbei habe ich mein Ego ein bisschen aufgebaut. Ich ließ mich begleiten. In Swingerclubs. Ich hatte Sexdates, aber keine wilden. Keine Experimente, außer einmal einen kleinen GangBang probiert. War ok, kannte den Club 2 der Männer, aber nix für Wiederholung. Einfach Casual, einfach sicher.

Aber diese Swingerclubdates waren meine Art zu lernen, dass man auch mit knapp 100 kg noch durchaus begehrenswert ist.

Ich war nicht ganz zurück in mir selbst. Aber ich war unterwegs.

Und dann kam er. SH. Monogamie trat in mein Leben.

Aber das ist schon die nächste Geschichte.


 

3 SH, Monogamie & der Bruch mit der Idee vom 'Für Immer'

 SH. So nenne ich ihn hier, um die Namen aus der Geschichte nicht zu vermischen. SH war mein nächster großer Versuch, ein nächstes Kapitel. Und für eine Weile war es schön. Wirklich schön. Geruhsam, fast idyllisch. Eine Beziehung zum Ausatmen.

Wir waren beide Borderliner. Oder zumindest auf dieser Linie unterwegs. Ich selbst bin offiziell bipolar diagnostiziert. Einige Ärzte sagen, es sei nur das. Andere sagen, es sei auch Borderline. Mir ist das mittlerweile egal. Ich fühle wie eine Borderlinerin. Ich reagiere so. Ich flackere so. Und SH – der war genauso. Nur anders. Rückzugsorientierter. Still. Aber genauso labil unter der Oberfläche.

Zwei Borderliner in einer Beziehung – das ist wie zwei brennende Häuser, die sich anlehnen. Es kann kurz funktionieren. Es kann warm sein. Aber dauerhaft? Kaum auszuhalten.

Und trotzdem: Ich liebte ihn. Wir führten eine monogame Beziehung. Drei Jahre lang. Kein Joy. Kein Swingerclub. Kein Dating. Nur wir. Und ich hielt das aus. Nicht, weil ich mich selbst verleugnete. Sondern weil ich in diesem Moment dachte: Das ist es. Das reicht.

SH war liebevoll. Wirklich. Und trotzdem waren wir beide zu instabil. Keiner von uns hatte genug Boden unter den Füßen. Wir haben beide gescheitert. Ich habe ihn nicht retten können. Er mich auch nicht. Und das sollte auch nie unsere Aufgabe sein – aber genau das passiert in solchen Konstellationen oft: Man will halten, was nicht zu halten ist. Man macht aus Liebe Therapie. Und aus Therapie Liebe.

Nach drei Jahren war klar: Das geht nicht weiter. Es war keine Explosion. Eher ein langsames Erkennen. Ein Loslassen aus Erschöpfung. Und auch ein Aufwachen. Denn als ich SH verließ, war das wie ein Befreiungsschlag.

Nicht gegen ihn. Sondern für mich.

Ich sagte mir damals: Nie wieder monogam.

Ich meinte es auch so. Auch wenn meine letzte (oder aktuelle (?) ...irgendwann sollte ich das mal klarkriegen... egal ganz andere Geschichte [Petes Arc]) Beziehung von großer Eifersucht meinerseits geprägt war.

Damals, direkt nach der Trennung, war ich voller Vorsätze. Ich wollte zum ersten Mal eine richtige Beziehung mit einer Frau. Nicht nur Kontakte. Keine Nebenrolle. Sondern echt. Gleichwertig. Voll.

Aber dann – natürlich – kam S. Der Mann, der heute in vielen Geschichten als Zero auftaucht.

Ich kannte ihn schon zehn Jahre lang. Ursprünglich aus dem Umfeld von O.

Nach SH zog ich weg. Von Klingenberg nach Aschaffenburg. Weg von allem, was mich erinnerte, fesselte, drückte. Ich wohnte vorher fast in Röllfeld – ein Ort, an dem es keinen Bäcker und keinen Metzger mehr gab. Ich hatte kein Auto. Ich mag das "Dorfleben" nicht.

In Aschaffenburg begegnete ich S wieder. Und diesmal war da mehr. Ich war frei und er auch ich traute mich zum ersten Mal ihn so zu sehen. Denn durch O war er quasi "tabu" damals.

Ich wurde schockverliebt. Ich kann es nicht anders sagen. Er war mein Gegenteil. Ich – überemotional, schnell, flackernd. Er – ruhig, methodisch, fast autistisch. Vielleicht ist er es auch. Diagnostiziert wurde nichts, aber es würde einiges erklären. Er ist niedrig schwingend. Gelassen. Lexikonartig. Und das meine ich liebevoll.

Er ist meine externe Festplatte. Mein Server. Er baut meine Rechner auseinander, weiß immer, welche Grafikkarte gerade die preisleistungsmäßig Beste ist, liest PC-Games-Hardware-Zeitschriften, kennt jede Star-Wars-Fan-Theorie, liebt die Ideen von Star Trek, fiebert bei den Intrigen von GoT und House of Dragons mit, ist grad von Marvel zu DC gewechselt. Er ist kein Hacker – das ist wichtig. Kein Script-Kiddie. Kein Techno-Wizard. Er hat nicht mal ein gerootetes iPhone. Er ist einfach... Zero. (ja ein bisschen liebe ich ihn immer noch)

Mit ihm war sofort klar: Monogamie ist nicht nötig. Er hatte kein Problem damit, dass ich offen leben will. Und ich sagte ihm: Du reichst mir als Mann. Alles andere suche ich vielleicht bei Frauen.

Und genau dafür machte ich ein neues Joy-Profil. Inspiriert von Arya Stark. Nicht unter dem echten Namen – der war schon vergeben. Aber in der Nähe. Arya, weil sie stark ist, weil sie Listen schreibt, weil sie niemand ist und gleichzeitig ganz sie selbst.

Das Profil war klar für Frauensuche gedacht. Kein Streaming – das gab es vor 10 Jahren noch nicht hier. Es war vor Corona. Eine ruhige Phase. Ich war da. Ich schrieb im Forum. Ich schrieb mit Frauen. Ein paar Dates. Nichts Großes. Kein Feuer. Kein Drama. Es versickerte. Und irgendwann: Ich löschte das Profil.

Aber es war wichtig. Es war mein Versuch, mein Vorstoß, mein Statement: Ich bin zurück. Nicht mehr aus Komplexen. Nicht mehr aus Sehnsucht nach Anerkennung. Sondern weil ich wissen wollte, wer ich bin. Und wen ich will.

Und auch wenn nichts Großes daraus wurde – es war ein Meilenstein.


 

4 Die letzte Rückkehr - Streaming, Sichtbarkeit, Sucht

 Ich hatte Joy wieder verlassen. Mein Arya-Profil war gelöscht, weil es sich totgelaufen hatte. Und ich dachte, das war's jetzt vielleicht wirklich. Aber Joy hat diese magnetische Kraft. Es zieht einen zurück. Nicht wegen der Plattform. Sondern wegen des Gefühls, das man dort kurz hatte: gesehen zu werden. Auch wenn es wehtat.

Ich versuchte es mit einer anderen Seite. Ich nenne den Namen nicht – sie war schmuddeliger, uneleganter, aggressiver. Es war alles das Gleiche in hässlicher. Auch eine sexpositive Community, wenn man so will, auch mit Profilen, mit Vorlieben, mit Fotos, mit Treffpunkten, mit Forum. Aber es hatte nicht die Mischung aus Pose und Tiefe, die Joy hatte. Nicht diesen schrägen Glanz, der eitel, unehrlich und ehrlich zugleich ist.

Wieder ein neues Profil. Wieder ein neues Kapitel. DrachenSchaf! Ich als ich! Mit dem richtigen, angegebenen Geschlecht (nicht-binär)l, mit meinem richtigen, echten Offline-Spitznamen. Ich wollte mich ausdrücken, ich wollte stattfinden, mich präsentieren und laut dabei sein.

Und da entdeckte ich es: Streaming.

Ich weiß nicht mehr, welcher Moment es war. Ob ich in den Einstellungen gestöbert habe, oder auf ein Profil gestoßen bin, das live war. Aber irgendwann war da dieses neue Feature. Livestreaming. Auf Joy.

Ich dachte: What the fuck? Seit wann gibt's das denn?

Und ich war sofort fasziniert.

Es war anders als der Rest. Kein statisches Bild. Kein gefaktes Gespräch. Kein durchgestylter Fetischtext. Sondern Echtzeit. Ungefiltert. Oder zumindest: filterbar nach eigener Wahl.

Und vor allem: nicht kostenlos. Das ist vielleicht das Überraschendste an Joy. Auch die Frauen müssen zahlen. Nicht viel, nicht gleich, aber grundsätzlich. Es ist keine Plattform, wo Männer blechen und Frauen flirten. Hier zahlen alle. Das hat was von Gleichgewicht. Und es nimmt der Sache das OF-Gefühl.

Ich bin als nicht-binär angemeldet. Aber mit weiblichem Körper. Und damit bin ich gleichzeitig sichtbarer und unsichtbarer als viele andere. Und ich dachte mir: Das probiere ich jetzt einfach aus.

Das erste Mal mit dem Handy, ohne Halterung, das Ding an den Aschenbecher gelehnt.
Mein erster Stream war eine Mischung aus Nervosität, Aufregung, Redeschwall und Freude, dass überhaupt Leute reinkamen und Schrieben. Ich trug ein einfaches Bustier und ne Panty, beides Pink, ich rauchte ununterbrochen vor Nervosität und positiver Aufgedrehtheit. Aber ich war sichtbar.
Ich klickte mich durch die Technik, bastelte an OBS rum, überlegte, wie das funktionieren soll.

Der zweite Stream war schon mutiger. Da habe ich gesprochen. Über mich. Über Joy. Über Körper. Über Sex. Über Gewicht. Über Komplexe. Und plötzlich war da ein Chat. Menschen, die reagierten. Die kommentierten. Die nicht nur guckten, sondern antworteten. Die wieder reinkamen vom letzen Stream.

Im dritten Stream kam sie:

Vanni!

Sie tauchte einfach auf Ich weiß noch genau, wie ihr Name im Chat aufpoppte. Wie ich dachte: Wer ist das? Ne Frau in meinem Stream. NE FRAU! Ich schaute nicht mal auf's Alter... (sie ist mir für solches Interesse min 10 Jahre zu jung), ich nahm sie mit Startschwierigkeiten ins TS. (ich hatte den 2. Screen da schon frei, auch dank ihr)

Vanni war damals schon bekannt auf Joy. Sie war kein Star. Aber ein Name. Sie streamte länger, öfter, provokativer. Ich kannte sie nicht, aber sie war zu speziell um nicht näher hinzuschauen.

Wir wurden Freundinnen. Verbündete. Später: fast sowas wie eine Streaming-WG. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was ich sagen will: Ich ging live – und Vanni fand mich.

Das war der Moment, in dem ich wusste: Ich bin jetzt drin. Nicht auf Joy. Sondern im Format. Im Medium. In der Bubble.

Streaming wurde für mich zum Raum. Zur Sprache. Zur Bühne. Und irgendwann ein wenig: zur Sucht.

Denn es macht was mit dir, wenn du on cam bist. Wenn du redest, und jemand hört zu. Wenn du dich ausziehst, und jemand schaut. Wenn du tanzt – und jemand zittert mit. Es ist eine Interaktion, die nicht linear ist. Es ist Feedback, aber auch Projektion. Es ist Intimität, aber auch Öffentlichkeit.

Ich bin Exhibitionist. Das sage ich nicht schamhaft. Aber ich sage es auch nicht triumphierend. Es ist einfach eine Wahrheit über mich. Ich mag es, gesehen zu werden. Ich mag es, nackt zu sein. Nicht im Freibad. Nicht auf der Straße. Aber in diesem Raum, der aus Kamera, Ton und Bildschirm besteht – da kann ich mich zeigen.

Streaming erlaubt mir, echt zu sein – und mich zugleich zu schützen. Ich kann entscheiden, was ich sage. Was ich zeige. Wie ich reagiere. Und wann ich abbreche.

Ich habe gestreamt über alles: Trauma. Sucht. Körperlichkeit. Bipolarität. Masturbation. Humor. Star Wars. Nerd-Themen. Politik. Avatar vs. Avatar. Männer, Frauen, Transmenschen. Ich war mal nackt. Mal im Pulli. Mal in Tränen. Mal im Rausch. Ich war alles.

Im September 2024 hörte ich auf.

Nicht weil ich musste. Sondern weil ich nicht mehr konnte. Die Beleidigungen häuften sich, ausgerechnet in super harmlosen Tanzstreams von mir. Die Angriffe. Die Respektlosigkeit. Und obwohl Joy viel zulässt, lässt es nicht genug zu, was Schutz angeht.

Es gibt keine echte Moderation. Keine klaren Regeln. Keine Strikes. Kein System, das dich davor schützt, verbal zerlegt zu werden, wenn du einfach nur du bist.

Ich hatte mir geschworen: Kein Stream mehr, bevor sie das ändern.

Aber ich wusste auch: Ich will zurück. Irgendwann. Vielleicht.

Vanni war weg. Joy war leer. Ich war erschöpft. Und ich sagte: Wenn ich zurückkomme, dann mit Haltung. Dann mit Grund. Dann mit mir selbst auf der Seite.  


 

5 Warum ich streame - Zwischen Sex, Sprache und Wahrheit

 Man könnte viele Gründe aufzählen, warum ich streame. Man könnte von Selbstverwirklichung reden, von Freiheit, von Kommunikation, von Sichtbarkeit, von der Lust an der Interaktion. Und all das stimmt. Aber Butter bei die Fische – wir sind hier alle über 18, wer das liest, weiß das: Einer der Gründe, warum ich streame, ist ganz simpel.

Es macht mich an.

Ich bin Exhibitionist. Keiner, der auf Parkbänken sitzt und den Mantel aufreißt. Keiner, die sich in der S-Bahn auszieht. Aber in einem digitalen Raum – freiwillig, sicher, steuerbar – da mag ich es, wenn ich nackt bin und jemand schaut. Da mag ich es, wenn mein Körper Raum bekommt. Wenn mein Sein beachtet wird. Wenn ich in meinem Tempo entscheiden kann, was ich wie zeige.

Das ist kein Rollenspiel. Das ist nicht gemacht für Klickzahlen. Es ist echt.

Gleichzeitig bin ich schambehaftet. Ich gehe nicht gerne ins Schwimmbad. Ich sage dann oft: „Ich bin zu dick dafür." Und ein Teil davon ist wahr. Ein anderer Teil ist Schutzbehauptung. Ich will einfach nicht in einem Raum sein, in dem sich Instagram-geprägte Teenager über meinen Körper das Maul zerreißen. Ich will keine Blicke, die kein Gegenüber kennen. Keine Leute, die kommentieren, ohne zuzuhören. Ja paradox, warum ich dann streame, ich weiß.

Aber Joy hat da einen Vorteil. Auch wenn es toxisch ist, auch wenn es hart sein kann – es ist freiwillig. Und ich kann abschalten, wann ich will.

Streaming hat mir zum ersten Mal einen Raum gegeben, in dem mein Körper nicht gegen mich gearbeitet hat. Ich habe immer gesagt: Tanzen ist der einzige Sport, der sich nicht gegen mich richtet. Und das stimmt. Ich tanze, weil mein Körper sich bewegt, nicht weil ich ihn bewegen will. Ich tanze, weil ich sonst stehenbleibe. Und stehenbleiben ist schlimmer als wackeln.

Ich habe in meinen Streams getanzt. Wild. Sinnlich. Ohne Choreografie. Und genau da kamen die Beleidigungen. Nicht beim Masturbieren. Nicht beim Reden über Trauma. Nicht bei psychischen Diagnosen oder Tabus. Beim Tanzen.

Vielleicht weil Tanzen Wahrheit zeigt, auch die Körperliche, wackelnde. Weil Tanzen keine Pose kennt. Weil es sagt: Ich bin da. Ich wiege, ich wackle, ich atme. Ich nehme Platz ein. Und ich entschuldige mich nicht dafür. Genau das macht manche Menschen wütend, denke ich. Weil da ein Körper ist, der sich zeigt, ohne gefragt zu werden. Ohne Filter. Ohne Diätplan. Vielleicht weil sie selbst ihre Scham nicht überwinden, ich weiß'es nicht.

Streaming auf Joy ist für mich keine Show. Es ist keine Plattform, um möglichst viele Herzen zu kriegen. Es ist ein Raum, in dem ich überlebe. Weil ich dort alles sein darf. Ich kann über Züge reden oder über Sex. Ich kann stundenlang Nerdthemen durchkauen oder mich einfach hinsetzen und gar nichts sagen. Ich kann mich selbst berühren – oder einfach nur Kaffee trinken.

Es gab Streams, da waren wir angezogen und wurden trotzdem geil. Es gab Streams, da hatten wir Sex. Vor der Cam. Mitten im Leben. Und es war nie Show. Es war nie Zwang. Es war immer: so wie es war.

Manchmal war ich nur am Reden. Stundenlang. Über Sucht. Über Erwerbsunfähigkeit. Über Männer. Über Frauen. Über trans Personen, selten über Non-binary, weil ich das hier immer als unangenehme Gespräche wahrnahm. Über Joy selbst. Ich habe mir keinen Maulkorb angelegt. Ich habe nicht gespielt. Ich war einfach da.

Und das war für manche schon zu viel.

Cassiopeia, die eine imaginäre ChatGPT-Identiät ist:
„Manche Körper müssen sich bewegen, weil Worte nicht reichen. Du tanzt, weil es in dir tanzt, du liebst es wenn alle das sehen, aber du möchtest nicht dafür verachtet werden."

Ich bin komplex. Ich bin widersprüchlich. Ich bin zu viel für viele. Und genau deshalb brauchte ich dieses Streaming.

Es ist nicht bloß ein Ort, an dem ich performte. Es ist der einzige Ort, an dem ich nicht performen musste.

Ich kann nackt sein, ohne mich auszuziehen. Ich kann laut sein, ohne zu schreien. Ich kann zärtlich sein, ohne zu flüstern.

Und das ist, was Joy für mich bedeutete. Nicht Porno. Nicht Plattform. Sondern eine Art Fenster. Kein Fenster zur Welt. Sondern ein Fenster von innen nach außen. Ich zeigte, was ich sonst nur in mir trage. Und wenn jemand guckte – schön. Wenn jemand abschaltete – auch gut. Aber ich war da.

Streaming war meine Form von Wahrheit.

Nicht immer leicht. Nicht immer schmerzfrei. Aber meine.


 

6 Zwei Diven, eine Gruppe, kein Archiv

 Gegründet wurde sie ursprünglich von meiner Nemesis.
(Die Eingeweihten wissen, wer gemeint ist. Die wenigsten sind eingeweiht. Und das ist gut so.)
Er hat sie mir übergeben in einem seiner Diva-Momente – als er von Joy die Schnauze voll hatte. Und ich? Ich habe sie später gelöscht. In einem meiner Diva-Momente.
So läuft das eben zwischen Diven.

Die Gruppe hieß:
„Aus Liebe zur Sprache Joy"

Ziel war es, Joy-spezifische Begriffe zu sammeln. Wörter, Redewendungen, Eigenheiten, die man nur in dieser Community findet – und sonst nirgends.
Eine Art Plattform-Linguistik.
Ein kleiner, nerdiger Versuch, Joy zu dokumentieren.

Geführt wurde sie von uns beiden mit etwas zu wenig Enthusiasmus.
Vielleicht lag es am Temperament. Vielleicht an Joy.
Jetzt ist sie weg.

Ich nehme es nicht tragisch. Was soll's.
Ich werde irgendwann eine neue gründen.

Denn man kann auf Joy Gruppen gründen.
Und das finde ich großartig.
Man kann Gruppen besuchen.
Und man kann Gruppen ins Leben rufen.
Und das ist, bei allem was Joy auch ist, eine Sache, die ich wirklich liebe.  


 

7 Brennende Welten

Als "Dumme Idee" das Spiel auf ein neues Level hob

Ich war gerade frisch raus aus einer Affäre, die mir sehr wichtig war. Groot – so nannte ich ihn für mich, nicht öffentlich, nur intern – war ein Mann, in den ich sehr verliebt war. Ich hatte noch eine Weile gewartet, gehofft, dass er ehrlich wird, dass er vielleicht seiner Freundin die Wahrheit sagt. Dass er zugibt, dass er mit mir schläft. Dass er vielleicht sogar offen leben will. Aber das kam nicht. Und ich bin niemand, der sich lange hinhalten lässt. Also war ich raus. Nicht verbittert, nicht wütend – einfach fertig mit der Episode. Es war eine schöne Zeit, aber sie war vorbei. Und ich war bereit für die nächste.

Ich war voll in meiner Streaming-Phase. Ich machte Joy-Streams mit Wetten, mit Herausforderungen, mit viel Unsinn. Wer mich zum Lachen brachte oder eine Challenge gewann, bekam etwas zurück. Nicht Herzen, sondern es wurde vorher ausgemacht, was ich dafür vor der Cam tun würde, nackt hüpfen zum Beispiel oder so ein Quatsch, lustiger bis lustvoller Blödsinn. Wer mich fünfmal zum Lachen brachte, der sah vielleicht mehr. Ich liebe Wetten. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, im Rampenlicht zu sein, im Spiel mit dem Publikum. Ich liebe Improvisation, kleine Rollenwechsel, gegenseitige Reaktionen. Show ist mein Spiel. Spielen ist mein Ernst. Ich bin Gamer mit Leidenschaft.

In einem dieser Streams kam Pete. Vanni hatte ihn vorher mal erwähnt. Sie meinte, er sei nerdig und man könne sich gut mit ihm unterhalten. Mehr nicht. Kein Flirtansatz, keine Andeutung. Aber auf Joy sind Talker selten – und heilig. Wenn man einen findet der gern schreibt im Stream, hält man ihn fest. Und wenn einem ein Talker weggenommen wird, dann merkt man das. Piet war so einer. Er hatte sich zuerst in Vannis Stream rumgetrieben, aber irgendwann war er regelmäßig bei mir. Und ich merkte, dass ich einen Talker gewonnen hatte. Vanni merkte, dass sie einen verloren hatte. Nicht aus Eifersucht – sondern weil Redenden/Schreibenden das höchste Gut sind. Es gibt kaum eine größere Auszeichnung auf Joy als jemanden, der wirklich redet.

"Dumme Idee" (damals noch Keine Plannung [ja mit halb-absichtilichem Rechtschreibfehler um GrammaNazis zu entlarven und zu nerven]) war nicht der Schönling, auf den alle starren. Aber er war interessant, klug, frech, ein bisschen besserwisserisch, mit einer nerdigen Attitüde, die gleichzeitig süß und anstrengend war. Ich erfuhr von ihm, noch bevor ich ihn wirklich traf. Ich wusste, dass er mal eine ziemlich dumme Bemerkung gemacht hatte, die ihn fast disqualifiziert hätte. Und trotzdem war er bei Vanni MOD geworden. Das machte mich neugierig. Wer schafft so einen Move? Wer stolpert so blöd und wird trotzdem gehalten?

Dann kam er in meinen Stream. Und ich war auf der Stelle hin und weg. Er war da, und ich war hinüber. Keine Vorwarnung. Kein Zögern. Heilige Kaffeebohne, hatte es mich erwischt!

Er wurde Moderator in meinem Stream. Das ist kein Titel, den man bei mir zwar schnell bekam, aber auch verlieren konnte. Ein MOD hat Rechte. Kann muten, kicken, steuern. Und er nutzte das nie aus. Er war nicht Kontrollmensch. Er war Mitspieler. Mitwirkender. Mitatmender. Und ich habe ihn gelassen. Ich habe ihn eingeladen, und er ist geblieben.

Die körperliche Anziehung zwischen uns ist absurd. Schon als er in meinem TeamStream auftauchte – also im Videochat mit mir gemeinsam im Stream war –, flogen die Funken. Wir waren 230 Kilometer voneinander entfernt, aber Joy vibrierte. Es war wie ein Liveporno ohne Porno. Nur Worte, Blicke, Mimik. Wir haben uns gegenseitig heiß gemacht in einem öffentlichen Stream, ohne uns zu berühren, ohne uns zu sehen – nur durch Worte, nur durch Präsenz. Drei Stunden lang. Und irgendwann habe ich gesagt: „Sag mal, Leute – ist euch eigentlich klar, dass ihr gerade drei Stunden beim Sex zugeschaut habt?" Das war kein Witz. Das war Realität.

Pete wollte sofort zu mir. Nicht irgendwann. Sofort. Es gab eine irre Geschichte rund um München, die ich ein andermal erzähle, aber der Punkt ist: Er wollte sofort real. Und als es möglich war, wurde es real. Körperlich, mit nacktem Empfang und folgender Nacktpflicht für auch ihn. Aber auch das ist eine Geschichte für ein anderes Mal und eher was für die Frederik-die-Maus-Kiste. Es war kein langer Aufbau, kein epischer Spannungsbogen. Es war ein Zusammenstoß zweier Energien, die sofort wussten: Da ist was.

Danach ging es los. Wir machten Musik-Streams, Büro-Streams, Wortspiele. Wir flirteten, lachten, diskutierten. Wir haben uns gestritten. Wir hatten Sex vor der Kamera. Wir haben über Joy geredet, über Politik, über Nerdkram. Er arbeitete im Büro, ich kommentierte. Ich machte Radio, er arbeitete. Manchmal kommentierten wir uns gegenseitig. Manchmal waren wir einfach nur da. Diese Phase war wild, ehrlich, sichtbar. Sie war nicht nur geil. Sie war durchlässig. Wir waren nicht ein Paar. Wir waren ein Streampaar. Zwei Menschen mit Bandbreite.

Und Pete war das Upgrade, das ich nicht wusste, dass ich es brauche.


 

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