Kapitel 1 – Der Regen, der nicht kam
Manchmal merkt man schon beim ersten Auftritt eines Menschen, dass da irgendwas hängenbleiben wird. Nicht weil es laut ist. Sondern weil es anders ist. Bei Moglie war es nicht der große Knall, kein Auftritt mit Tusch und Applaus. Es war eher das Gegenteil: leise, selbst abwertend, traurig. Eine melancholische Grundfarbe, die jede seiner Aussagen begleitete. Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – mochte ich ihn auf Anhieb.
Moglie tauchte in meinen Joy-Streams auf. Immer wieder. Mal als Zuschauer, der aktiv und freundlich im Chat war, solche stechen sofort raus, aber er war besonders auffällig: Er sprach über sich selbst wie über einen kaputten Gegenstand. Nicht im Sinne von Pathos oder Inszenierung, sondern als wäre das einfach Fakt. Ein bisschen wie Nico Semsrott – nur nicht als Kunstfigur, sondern echt. Da war kein Zynismus dahinter, nur eine gewisse Grundüberzeugung, dass mit ihm eben nichts geht.
Und trotzdem hatte er Humor. Einen schrägen, traurigen Humor. So wie jemand, der Witze macht, um nicht ganz unterzugehen. Ich mag sowas. Ich finde übertrieben fröhliche Menschen viel schwerer zu ertragen. Beispiel „Witz": Er sei nicht nur nicht der Typ mit dem man Pferde stehlen würde, er sei nicht mal der Typ mit dem man hinterher drüber redet warum man den Gaul überhaupt klauen wollte.
Die Sache mit dem Regen kam in einem dieser Streams, es war Sommer, heiß, drückend. Moglie war irgendwo, wo es regnete. Ich saß in der Hitze und er meinte, er schickt mir den Regen. Einfach so. Aus Spaß. Ich ging drauf ein, ebenso aus Spaß. Wir machten eine Wette draus (ich liebe Wetten – nur nicht um Geld). Wenn der Regen bis zu einer bestimmten Uhrzeit nicht da war – dann muss Moglie eine Wettschuld einlösen.
Und ich liebe Wettschulden (wenn es kein Geld ist).
Ich sagte: Dann musst du in meinen Stream. Nicht nur im Chat, sondern live mit Cam und Ton singen. Irgendein Lied mit Regen im Titel. Was es am Ende war, weiß ich nicht mehr – vielleicht Let It Rain, vielleicht was anderes. Ist auch egal. Der Punkt war: Der Regen kam natürlich nicht.
Und Moglie wollte diese Strafe nicht unbedingt antreten, wie man verstehen kann. Er war schüchtern. Menschenscheu. Ein vorsichtiger Typ. Aber da gab es Kirk. Mein Moderator. Ein Sadist, der das auch offen zugibt. Kirk hatte als Mod natürlich Zugriff auf den TeamStream – das Setup, bei dem Gäste mit Ton und Bild im Stream auftauchen. Und Kirk lud Moglie einfach ein. Ohne großes Tamtam. Ohne Moglies Widerstand wirklich zu beachten. Und Moglie? Sagte ja, brav.
So saß er plötzlich in meinem Stream. Sichtbar. Hörbar. Und er sang. Eine Strophe, ein Refrain – völlig egal. Er hatte es getan. Ich hab vergessen, welches Lied. Ich erinnere mich nur noch daran, dass er es wirklich gemacht hat. Ich war beeindruckt, geb' ich ehrlich zu.
Und ab da war Moglie eine feste Instanz. Kein Zuschauer mehr. Kein Chatname. Sondern ein Sidekick. Ein Möbelstück im Stream. Einer, der irgendwie immer da war. Nicht in jedem Stream – das ging arbeitsbedingt gar nicht. Er war immer präsent, mal sehr passiv, mal nur im Chat, oft im TeamStream und er begann eigene Talkstreams zu gestalten, in denen ich dann häufig Gast war. Schließlich gehöre ich zur Eigentümergesellschaft... hehe... ja wir haben Moglie gekauft! So nenne ich es immer. Wenn ein neuer (männlicher) Streamer anfängt muss er wie alle auch 10000 Herzen bekommen um einen TeamStreamer einladen zu können. 35000 Herzen für zwei. KACK SYSTEM by the way. Ich habe für solche Momente immer Herzen auf Lager, auch Vany und Tia. Aber auch Kirk, Groot und Michi spendeten... also gehört er uns.
Was für die Ewigkeit bleibt, ist dieser eine Moment. Wie jemand, der von sich selbst sagt, er könne nichts, auf einmal in einem Livestream steht, mit Kamera, mit Mikrofon, und singt. Nicht, weil er sich sicher fühlte. Sondern weil er es einfach gemacht hat. Weil eine absurde Wette aus einer Sommerlaune heraus Wirklichkeit wurde.
Das war kein Gag mehr. Das war der Moment, in dem eine reale Verbindung begann.
Kapitel 2 – Der Nachtmodus
Moglie ist kein Stimmungsmacher. Kein Gagfeuerwerk. Eher das Gegenteil. Seine Witze waren traurig. Wirklich traurig. Anti-Witze. Und das war fast schon ein Markenzeichen. Wenn andere lachen wollten, brachte Moglie einen Spruch, der eher zur Reflexion zwang. Nicht, weil er es wollte. Sondern weil das eben seine Art war. Eine Mischung aus Melancholie und absurd trockener Komik. So wie: „Ist es bei euch schon dunkel?"
Dieser Satz kam von einem Fremden. Irgendein Zuschauer, irgendwann nachts um eins, einfach in den Chat geplatzt, ohne Kontext, ohne Erklärung. Und Moglie machte daraus ein Ritual. Ein Running Gag. Er fragte das dann regelmäßig. Immer mit todernster Stimme. Als wäre es das Normalste der Welt. Und es funktionierte. Weil es so absurd war.
Der zweite Running Gag: „Mach mal nackt." Der Klassiker unter den Joy-Aussagen. Der kam ebenfalls von einem Zuschauer – direkt, fordernd, ohne Stil. Ich war gerade in eine Decke gewickelt, frisch aus der Dusche, nach einem Masturbationsstream. Es war klar, dass ich eh wieder nackt sein würde. Aber ich lasse mir ungern Befehle geben. Also kam mein Standardspruch: „Auf Befehl mach ich gar nichts." Moglie war im Teamstream dabei, sah ebenfalls aus wie ein verirrter Deckenmensch, und fragte trocken zurück: „Wen meinst du eigentlich – mich oder sie?" Der Zuschauer meinte: „Von mir aus beide." Und dann kam sein Abgang: „Was für ein Kindergarten. Ihr wisst wohl nicht, was für eine Seite das hier ist." Ich bannte ihn. Und erst danach fiel die Decke. Nicht als Reaktion. Sondern weil ich es eh vorhatte.
Moglie machte „Mach mal nackt" zum Spruch. Aber er verdrehte ihn nie. Nicht „zieh dich aus". Nicht „zeig dich". Es war immer genau diese Drei-Wort-Formel: Mach. Mal. Nackt. Ausrufezeichen. Und jedes Mal, wenn er das sagte, war es nicht sexualisiert. Es war Erinnerung. Insider. Verbindung.
So funktionierte Moglie. Er war kein Witzbold. Aber er erinnerte alles. Jedes Meme. Jede absurde Szene. Jedes Detail. Und er kam immer wieder damit. Nicht immer neu. Aber immer treu.
Was ihn besonders machte, war nicht sein Witz. Sondern seine Art, da zu sein. Auch nachts. Vor allem nachts. Wenn ich mal wieder nicht schlafen konnte, wenn der Stream lief bis fünf, sechs, sieben Uhr – dann war Moglie noch da. Müde vielleicht. Kaum noch im Bild. Aber da. Still. Loyal. Eine Art Stream-Wächter. Wie ein Nachtlicht mit Stimme.
Er verpasste regelmäßig, was im Stream eigentlich los war. Fragte nach, wenn alles längst vorbei war. Manchmal wirkte das wie Absicht. Vielleicht war es das. Vielleicht war es sein Trick, sich die Welt in Etappen anzusehen. Immer ein bisschen zu spät – und dadurch ein bisschen sicherer.
Ich habe viele Leute im Stream kennengelernt. Viele kamen, viele gingen. Moglie blieb. Und irgendwann wurde aus einem, der halt da war, einer, der dazugehört. Nicht nur Streambekanntschaft. Sondern Freund. Nicht, weil wir so viel geredet haben. Sondern weil wir so viel geteilt haben – Raum, Zeit, Insider, Schweigen.
Moglie war der, der mitkam, als ich nach München fuhr. Der seinen Hund mitbrachte. Der nichts Großes sagte, aber alles mittrug. Und damit war er nicht mehr nur mein Sidekick.
Er ist ein legendärer Freund.
© Drachen Schaf. Alle Rechte vorbehalten.
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